September 14 to October 26, 2013

Sibylla Dumke

 

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In ihrer dritten Einzelausstellung bei Cruise & Callas erweitert Sibylla Dumke ihren eingeschlagenen Weg um eine wichtige Dimension. Ausgangspunkt ist zunächst eine Auswahl von Arbeiten auf Papier, die charakterisiert sind durch vielfältig und sorgfältig sich abzeichnende Geflechte, Lineaturen oder Kalligraphien. Viele der Zeichnungen kennzeichnen unprätentiös entwickelte, regelmäßige und unregelmäßige Muster, schriftartige Ornamente, aber auch Spiegelungen und Verdopplungen.

Dumkes Arbeiten erscheinen jedoch nicht allein und isoliert, sondern sind eingebunden oder umgeben von Natur; einer Natur, die nur auf den ersten Blick aus Gestrüpp und totem Geäst zu bestehen scheint. Der Künstlerin geht es nicht um inszenierte Realitäts-Artefakte oder Ready-Mades. Ebenso ist der Bezug zwischen den Natur-Gegenständen und Dumkes Papierarbeiten kein willkürlich hergestellter oder additiver, der nach einer Vervollkommnung strebt, sondern dieser Bezug erscheint als eine Konsequenz der künstlerischen Entwicklung.

Beobachtet man Dumkes künstlerische Praxis, so fällt auf, dass die Künstlerin ihr Raumverständnis kontinuierlich verändert und erweitert hat. In einer kleinformatigen Malerei von 2012, die in der Ausstellung zu sehen ist, wird ein entscheidender Schritt sichtbar: Anknüpfend an das bereits früher präsente Motiv der Augen bilden sich hierbei nicht nur punktuelle Einschnürungen, die Fokus und Bruchstelle bezeichnen, sondern der Akt des Einschnürens um diese Licht-Öffnungen oder Licht-Punkte wird plötzlich ebenso sichtbar und spürbar, als tatsächliche schrundige Verdichtung, als wellenförmig bis spiral-artig aufgeworfenes Material. Lag der Akzent der Künstlerin in den zuvor entstandenen Zeichnungen noch auf der Gleichwertigkeit von Linie und Umraum, verschiebt sich nun das Interesse zu den entäußerten Energien und Kräften, die in der Umgebung, in einem ´Drumherum´ wirken. Diese Kräfte an sich darzustellen, während die Zuspitzung auf ein Konzentrat zunächst außer Acht gelassen wurde, war dann eine aus dieser Erfahrung resultierende, konsequente Fortführung. Tuschezeichnungen entstanden, die ein ´entspanntes´, vielgestaltiges, aber auch präzise ausformuliertes Wuchern von Lineaturen zeigen, von organisch sich schlängelnden Fäden, die auch auf Pergamentpapier-Bögen ausgeführt wurden, um so Hintergründe und Raum zwanglos mit ins Bild zu bringen.

Das entdeckte, aufgelesene und erkannte Geäst ergibt sich dann als ein weiterer, sich aufdrängender Schritt. Das Natur-Produkt erscheint als Äquivalent zur künstlerischen Formung, zum zeichnerischen Ausschreiten von Wegen, die mehr oder weniger geradlinig verlaufen, sich verzweigen, gelegentlich Volumen bilden und gar Figurationen andeuten. Sibylla Dumke nimmt sich dieser Fundstücke an und unterzieht sie einer sorgfältigen Justierung und Präzisierung. Sie wählt durch langes Betrachten adäquate Objekte aus, schält die Rinden ab, glättet und färbt das Geäst schließlich mit Zeichentusche. Diese Arbeitsschritte bewegen und lösen die arbiträren Fundsachen aus ihrer naturhaften Identität und nähern sie bewusst ihren Papierarbeiten an. Aus den transformierten Ästen entwickelt Sibylla Dumke dreidimensionale Zeichnungen, vielgestaltige Wand-Tableaus oder horizontal gereihte Einzelelemente, die eine kalligrafische Schriftsetzung suggerieren.

Darüber hinaus wird das ´Nur-Naturhafte´ von ihr noch ein weiteres Mal erweitert. Dumke gestaltet Artefakte aus verschiedenen, mit Fäden und Draht verbundenen Ästen, die durch schwarze Lackierungen eine fast künstliche Anmutung erhalten. Hinzugefügt zu diesen mobile-artigen Konstrukten werden Fundstücke, die diesmal nicht der Natur, sondern dem Stadtraum entstammen: kleine Plastikteile wie Löffel, Reflektoren und Fragmente erzählen nicht nur von funktionalen Elementen, oder  Zivilisationsmüll, sondern dokumentieren in einer neutraleren Weise den menschenentwickelten Formen-Kanon, den die Künstlerin den Naturformen zur Seite stellt bzw. mit diesen verwoben hat. Mensch und Natur werden damit in grundsätzlicher Weise als ein dynamischer, aufeinander bezogener, sich spiegelnder Parallel-Prozess behauptet (das Eine sieht und erkennt sich im Anderen), während sich eine dichte, aber gleichzeitig zwanglose Fülle des rätselhaften Entstehens und Wachsens der Dinge zeigt.

 

Thomas Groetz

 

 

In her third exhibition at Cruise & Callas, Sibylla Dumke adds an important dimension to the course she has been pursuing. The starting point is a selection of works on paper which are characterized by manifold and carefully executed interlacings, lineations or calligraphy. Many of the drawings are typified by unpretentiously developed, regular and irregular patterns, script-like ornaments, but also by mirrored and doubled structures.

However, Dumke’s works do not appear alone and isolated, but are embedded in or surrounded by nature; a nature that only at first sight seems to consist of brushwood and dead branches. The artist does not create or stage artifacts of reality or ready-mades. Likewise, the relationship between the natural objects and Dumke’s drawings is not an arbitrary or additive one, aiming at perfection. This relationship is the consequence of an artistic development.

Following Dumke’s work, one can observe how the artist has continuously developed and expanded her understanding of space. A decisive step becomes visible in a small-scale painting from 2012 shown in this exhibition. Referring to the eye – a motif already present in Dumke´s earlier works – she now not only paints points or spots which indicate a focus and an interruption. Instead, the act of constricting around these light-openings or light-spots is suddenly equally visible and noticeable as an actual, creviced concentration, as material raised in the form of waves or spirals. While in her previous drawings, the artist has put emphasis on the equivalence of line and the surrounding space, her interest now shifts to the realized energies and forces that operate in the environment, in the “surroundings“. To represent just these forces, disregarding any intensification into a concentrate for the time being, was a consistent continuation which resulted from this new experience. Dumke created ink drawings which show a “relaxed,“ multiform, but also accurately formulated proliferation of lines, of organically meandering threads, which she also executed on sheets of parchment paper in order to informally include space and backgrounds into the picture.

The discovered, recognized and gathered up branches signify a further step which suggests itself. The products of nature appear as an equivalent to the artistic creation, to a pacing out of pathways in the drawings that run more or less straight, ramify, sometimes form volumes or even outline figurations. Sibylla Dumke adopts these found pieces and subjects them to a careful adjustment and clarification. After a thorough inspection she chooses suitable objects, peels off the bark, smoothes the branches and finally colors them with drawing ink. These steps move the arbitrary found objects and detach them from their identity as nature, bringing them consciously closer to the works on paper. Sibylla Dumke then develops these transformed branches into three-dimensional drawings, multiform wall-tableaus or single elements in a horizontal sequence suggesting a calligraphic script.

The “just natural“ is extended by the artist once more. Dumke creates artifacts from various branches which are connected by threads and wire and due to the black varnish obtain a nearly artificial appearance. Added to these mobile-like constructions are found objects which in these works do not derive from nature but from the urban space. Small plastic objects such as spoons, reflectors and other fragments not only narrate about functional elements or waste products of civilization, but also document in a more neutral way the canon of forms developed by man, which the artist has set side by side and interwoven with the forms of nature. Man and nature are thus declared existing in a dynamic, correlated and mirrored parallel process – the one sees and recognizes itself in the other – while a dense and at the same time informal richness of the puzzling emergence and growth of things is revealed.

Thomas Groetz