Yasmin Müller: Caramel
Ciao, Julio!
Normalerweise ist das doch zum Davonlaufen.
Man hört von einer Ausstellung zu „Maler und Modell“ oder „Künstlern und ihren Musen“, hört, wie sehr irgendwer ein bestimmtes Modell vergöttert oder missbraucht, verklärt oder ausgebeutet hat. Nur ist es das? Nicht, dass es diese Probleme nicht gäbe, da ist gewiss mehr dran, als einem lieb sein kann, nur die didaktische Einseitigkeit in der Darstellung, also inspirierte Huldigung und heile Atelierwelt einerseits und Sexismus, Chauvinismus und geschlechtliche Objektivierung andererseits, greift meist viel zu kurz.
Vor allem, weil es mittlerweile eigentlich klar sein sollte, dass, wenn eine Person gemalt oder porträtiert wird, diese auf dem Bild nie sie selbst ist, sondern ein Bildding unter vielen und dass, so jenes Bild Charakter hat, dies an anderen Faktoren, bildnerischen, hängt, nicht unbedingt am Vorbildcharakter des Modells. Und was macht man mit ‚Porträts‘ von Stoffen, Tischdecken, Lampen, Schalen, Früchten, Müllcontainern, Sofas, Landschaften? Gilt da die sexualisierte Lesart auch? Klaro. Kann man mit Blick auf den Fetischismus alles auf der geschlechtlichen Ebene verstehen. Nur bleiben die Werke dann immer Psychogramme einer Künstlerin oder eines Künstlers und selten bei sich.
Lebt man dazu noch in einer Gegenwart, in der sich Rollenzuschreibungen, Verhaltenscodizes und Geschlechts- erkennungsmerkmale auflösen, wird es umso diffiziler, zwischen einem eindeutig männlichen, weiblichen, männlich-weiblichen, weiblich-männlichen oder ganz anderem Blick zu unterscheiden.
Demgegenüber hat Yasmin im vergangenen Jahr begonnen, mit Zora, einer engen Freundin, als Modell zu arbeiten, die sie kurzerhand und als Arbeitshypothese zu ihrer Muse erklärte. Nur was heißt das heute, in mythenlos-aufgeklärter Zeit, bisweilen zwar rauschhaft, doch fern von allem poetischen Furor, fern von göttlicher Eingebung oder klassischen ‚Musengeschenken‘? Gerade, wenn die bildende Kunst ohnehin mit Musen nichts zu tun hat; zumindest damals nicht in Griechenland, als die neun Damen ihre Schutzbefohlenen (Sternengucker, ein paar Flötenspieler und viele, viele Dichter) zugeteilt bekamen.
Nimmt man dagegen die erst viel später in der Renaissance erfundenen ‚Kunstmusen‘, stellt man gegen jede Alltagsmeinung fest, dass dies zumeist die Ehefrauen oder wenigstens die Langzeitgeliebten waren, so gut wie nie verruchte Mätressen oder mehr bis minder romantisch aufgelesene One-Night-Stands.
Dafür sind derartige Beziehungen zu fragil, die künstlerische Arbeit ist es und braucht Nähe, Vertrautheit und zugleich doch die Distanz eines Gegenübers.
Man kann sagen, dass eine Muse Behelf, Vorwand oder Mittel zum Zweck ist, doch vielmehr ist sie der notwendige Gegenpol, um einen künstlerischen Prozess in Gang zu bringen, ist Katalysator, trigger usf.
Germaine Greer hat dazu einmal erzählt, dass eine Muse selbstverständlich mit der oder dem Musengeküssten ‚verkehrt‘. Allerdings penetriert hierbei die Muse (die Vorstellungskraft) und der Künstler trägt die gemeinsame Schöpfung aus. Also eine Paarbeziehung und so gut wie keine Unterwerfung oder Unterwürfigkeit. Sex spielt dabei keine zu große Rolle, Erotik mitunter. Denn jede Begegnung, aus der gemeinsam etwas geschaffen wird, ist auf die eine oder andere Weise erotisch aufgeladen.
Sich bewusst in eine solche Situation zu begeben, hat Yasmin gereizt, die Spannung in der Spiegelbeziehung zum Gegenüber – mit allen Projektionen, die man der jeweils Anderen überstreift oder aufbürdet. Und als Produktionsgemeinschaft wenden Yasmin / Zora nun Theweleits male-couple in ein sich wechselseitig befeuerndes female-couple.
Denn notwendigerweise verschiebt der so bewusst und sichtbar gemachte weiblich-weibliche Austausch die Perspektive auf die Bedingungen künstlerischer Tätigkeit maßgeblich: Wer tut was, mit wem, wozu?
Ausgangspunkt war eine Serie von Fotografien, in denen Yasmin Zoras Körper nach Belieben hindrapierte oder übermalte und gleichermaßen den physischen Widerstand oder Eigenwillen des ‚Materials‘ akzeptierte. Diese Fotos waren die Recherche zum eigenen Rollenverständnis und der Versuch, der gemeinsamen Arbeit eine Form zu geben. Was Yasmin – beinahe in herrischer Geste – nicht davon abhielt, diese grundlegenden Fotos für die tatsächliche Ausstellung zu verwerfen. Die ‚Verschwendung‘ der gemeinsamen Arbeit ist ebenso Teil der gemeinsamen Arbeit. Bereicherung wie Benutzen beruhen auf Gegenseitigkeit, wogegen nichts einzuwenden ist, solange keine Seite dabei aufgebraucht, verzehrt oder zerrieben wird. Geben und Nehmen sind eher Zeichen für Souveränität als für Ungleichgewicht und die Subjekt-Objekt-Relation ist dabei zirkulär, wenn sie nicht vollends hinfällig wird.
Entstanden sind aus diesem couple, dieser Kopplung Yasmin / Zora fünf Stahlplastiken, die nun in der Ausstellung stehen. Wodurch diese ziemlich hart und entschieden geworden ist. Es sind Ableitungen von Stühlen, Hockern, einem Divan. Aber eben doch keine Möbel. Nur was dann?
Es braucht ein wenig, bis man inmitten der Streben einzelne, ineinander verschränkte Buchstaben entdeckt. Mal nur ein Y, mal eine Z-artige Form, dann YM und ZY – Initialen. Sie scheinen wie Logos oder Brandings, doch sind sie dem plastischen Ganzen vollkommen integriert, feste Bestand- und Bauteile, nicht bloß appliziert. Yasmin / Zora ist den Plastiken unmittelbar eingeschrieben, womit diese weit mehr als Platzhalter für die beiden darstellen wie etwa Vincents und Pauls Stühle, sondern zu regelrechten Verkörperungen werden.
Vielleicht kann man die Plastiken sogar Figuren nennen, weder im sprachlichen noch im theatralischen, sondern vielmehr im choreografischen Sinn. Körper nicht unbewegt und statisch, sondern in Bewegung, aktiv und sich verausgabend in situativ wechselnden Konstellationen, in Nähe, Ferne, Ab- und Zuneigung. Selbst Möbelrücken ist Beziehungsarbeit, denn praktisch äußert sich darin zuletzt mehr Wissen um die Problematik, als man es motivisch nachahmen oder theoretisch analysieren könnte.
Und was da sonst noch an Wiener Werkstätten, David Smith, Kippenbergers Happy End, Franz West, Architektur- und Designgeschichte miteingeflossen ist, mag jede und jeder für sich entscheiden – manches findet man vor, manches schafft man selbst und zwei Stühle können verdammt erotisch aufgeladen sein.
Dass sich Yasmin der klassischen Männerdomäne Metallwerkstatt bemächtigt und die Plastiken eigenhändig geschweißt hat, ist als Bonus ein charmanter Seitenhieb auf das nach wie vor bestehende Image vom toughvirilen Bildhauer wie auf die Generation von pseudoindustrialisierten Trademark-Künstlern, die nur noch fremdbauen lassen. Aber sei’s drum.
Geht das so weiter, kämmt sie den Stahl bald so sanft wie fallendes Haar – mit ein paar Dornen drin.
Christian Malycha